Stell dir vor, du bist Kind und hattest keine Kindheit.
- Mar 26
- 4 min read
Happy Welcome in meiner kleinen Coachingwelt. Die Reise bis hierher war lang und wild. Und natürlich war ich nicht schon immer Coachin - in meinem Inneren vielleicht, aber nicht so richtig offiziell mit Zertifikat und all dem.
Im Frühjahr 2021 habe ich meine Ausbildung zur systemischen Coachin und zur Trainerin in der Erwachsenenbildung abgeschlossen und begleite seitdem Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen. In diesen mittlerweile vier Jahren fiel es mir besonders schwer einen Fokus zu halten und zu benennen, was genau ich eigentlich mache. Mein Instagram Feed wirkt chaotisch, ich habe immer wieder neue Ideen und je voller mein Kopf wurde, desto weniger wusste ich, was ich überhaupt machen möchte.
Und genau so sieht auch mein Lebenslauf aus. Alles andere als geradlinig, immer wieder neue Jobs. Mittlerweile bin ich 15 Mal umgezogen. Vor zwei Jahren sogar ausgewandert. Menschen sagen über mich, ich sei rastlos, sprunghaft, strebe immer nach Veränderungen. Nett ausgedrückt dann auch entscheidungsfreudig oder dass ich wisse, was ich will im Leben und dafür eben auch Dinge umsetze. Auch die ganz großen Veränderungen, wenn es eben sein muss.
Und so erging es mir auch im Aufbau meiner Selbstständigkeit. Ich habe mich an jeder Ecke ablenken lassen, mich beeinflussen lassen, dachte oft "Ah, jetzt hab ich's endlich!", hatte es aber ein paar Tage später wieder nicht. Und so drehte ich mich immer wieder im Kreis. Habe mich oft gefragt, warum andere Menschen so klar wissen, wer sie sind und was sie tun - nur ich nicht.
Dann ließ ich meine Gedanken noch einmal in die Menschen fließen, mit denen ich bisher gearbeitet habe und was wir alles gemeinsam haben - natürlich. Denn so ist es ja immer, wenn wir als Coach oder Mentorin arbeiten. Und dann dachte ich plötzlich "Ja, wir fühlen oder fühlten uns alle lost, weil wir nicht wissen, wer wir sind." Und dass ich Menschen genau auf diesem Weg begleitet habe - sich endlich selbst zu sehen und zu verstehen.
Warum wissen einige Menschen so genau, wer sie sind und andere nicht? Natürlich habe ich mir Gedanken darüber gemacht und Antworten für mich gefunden.
Wenn wir Kind sind und sich unsere Identität bildet, kommen unglaublich viele Faktoren zusammen. Unser Selbst und unsere Identität kann sich aber nur dann frei entwickeln, wenn von Außen keine Störfaktoren auf uns einwirken.
Stell dir vor , du bist Kind und erleidest die schlimmsten Mobbingerfahrungen.
Stell dir vor, du bist Kind und deine Mutter leidet an Depressionen.
Stell dir vor, du bist Kind und dein Vater ist Narzisst.
Stell dir vor, du bist Kind und deine Mutter stirbt.
Stell dir vor, du bist Kind und hast in deinen jungen Jahren mehr Zeit im Krankenhaus verbracht als manch erwachsene Person es je tun wird.
Stell dir vor, du bist Kind und du verlierst deine Schwester.
Stell dir vor, du bist Kind und wächst mit einer körperlichen Behinderung auf.
Stell dir vor, du bist Kind und deine Eltern führen Rosenkrieg nach der Scheidung.
Stell dir vor, du bist Kind und es wird nicht erkannt, dass du hochbegabt bist.
Stell dir vor, du bist Kind und du musst dich um deine jüngeren Geschwister kümmern, weil deine Eltern zu viele eigene Probleme haben.
Stell dir vor, du bist Kind und erfährst nur dann Liebe von deinen Eltern, wenn du gute Leistungen bringst.
Stell dir vor, du bist Kind und hattest keine Kindheit. Zumindest keine Kindheit, in der du dich frei hättest entfalten können. Dein Selbst entwickeln. Selbstbewusstsein. Eine gesunde Selbstwahrnehmung.
Stattdessen hast du gelernt, dich immer um andere zu kümmern, dein Umfeld gut im Blick zu haben, Menschen schnell erfassen zu können, Situationen zu analysieren, zu funktionieren, Leistung zu bringen, perfekt zu sein. Denn genau das hat als Kind dein Überleben gesichert.
Heute bist du erwachsen und fühlst dich innerlich leer und nicht angekommen. Du fragst dich, wo verdammt ist dieser Sinn des Lebens? Wer bin ich und wer darf ich sein? Du bist super anpassungsfähig und ein soziales Chamäleon und trotzdem fühlst du dich nie zugehörig und immer anders. Dir fällt es schwer in Gruppen zu funktionieren, weißt oft nicht, ob du dich angemessen verhältst und hast Angst etwas falsch zu machen.
In deinem Lebenslauf zeigt es sich vielleicht ähnlich wie in meinem - da ist Veränderung die einzige Konstante und du wünschst dir nichts sehnlicher als endlich anzukommen und einmal durchzuatmen. Einmal kurz stehenbleiben und das Gefühl haben von "Es ist gerade alles gut so, wie es ist." Du wünschst dir, endlich authentisch sein zu können ohne Angst vor Ablehnung. Du wünschst dir, deinen Weg zu finden, deine Berufung, dein Leben.
Die Vorstellungen von Kindheit oben in diesem Text habe ich mir nicht ausgedacht. Es sind die Geschichten meiner Coachees und meine eigenen. Und wenn ich ehrlich bin, ist es genau das, was meine Arbeit ausmacht. Dich selbst zu finden. Weil du in der Kindheit mit den Bedürfnissen anderer Menschen mehr beschäftigt warst als mit der Entfaltung deiner eigenen Identität.
Und ich könnte an dieser Stelle jetzt weiterschreiben und erzählen, wie ich arbeite und wie man sich seine eigene Identität im Erwachsenenalter neu erobern kann. Aber ich möchte diesen Text so erst einmal wirken lassen. Für dich und auch für mich.
Danke, dass du dir die Zeit genommen hast bis hierher zu lesen.
Komentáře